Kalter Entzug
Hallo in die Runde. Ich heiße Torsten, und ich habe ein Problem. Ja gut, so könnte ich angefangen haben (bis vor einer Woche), aber mittlerweile bin ich seit über einer Woche „trocken“. Mit einem ganz kurzen Ausrutscher zur Kontrolle meines Tuns.
Ich habe mich am Montag der letzten Woche entschlossen, für eine Woche „Facebook-Abstinent“ zu bleiben. Ich hatte es satt, mich ständig über dieselben dummen Kommentare, vermeintlich eigenständige Meinungen und endlos Ergebnisunoffenen Diskussionen zu ärgern und meinen Blutdruck nach oben zu bringen.
Kurzum, ich schaltete Facebook für mich ab. Ich gab keiner Neugierde nach, als die Zahlen der „Neu-Benachrichtigungen“ die Hunderter-Marke überstiegen. Erstaunlicherweise gab es nicht einmal eine Neugierde, der ich hätte nachgeben können. Es interessierte mich schlicht und einfach nicht, was es da auf und in den sozialen Netzwerken für Schlachten gab.
Alles Wichtige bekam ich aus den Nachrichten mit. Sogar einiges Unwichtige. Einzig die Antworten und Sprachscharmützel, die Verleumdungen und Beleidigungen blieben mir erspart. Ich wusste also, genau wie vorher, nicht, was das Volk denkt. Nur, dass ich dieses Mal eben auch von den entsprechenden Behauptungen verschont blieb, was das Volk denken würde. Und zwar jeweils der „größere Teil“ des Volkes.
Hat mir das gefehlt? Nein. Absolut nicht. Wenn ein Haus brennt, kann es mir egal sein, ob Herr Meyer sagt, dass er nicht glaubt, dass Feuer wirklich so schlimm ist, und Herr Schlüter erwidert, dass man erstmal wissen müsse, wer es anzündete. Es interessiert mich nicht. Auch, weil es absolut keinen Einfluss auf mich (oder auf irgendetwas) hat. Ja, es hat mich vorher auch nicht wirklich interessiert, aber vor lauter Langeweile beim Warten auf irgendwen oder irgendwas, schaut man "halt mal ins Facebook“. Dies ging zumindest mir so.
Was waren die Auswirkungen auf mich? Mein Highscore bei „Candy Crash“ ist nach oben gegangen. Allein schon beim Warten auf den Zahnarzt bin ich zwei Level aufgestiegen. Mein Akku hält etwas länger. Und ich habe etwas sehr eigenartiges getan. Ich habe mich mit Mitmenschen unterhalten. Nicht immer freiwillig, aber es waren wirkliche Gespräche.
Gestern nun war mein selbstauferlegter „Kalter Entzug“ theoretisch beendet. Ich öffnete Facebook, scrollte kurz durch, wähnte mich in einer Zeitmaschine (es war alles noch genauso dumm und unsinnig wie zuvor), und --- schloss es wieder.
Um nicht nochmals einen Rückfall zu bekommen, und dadurch möglicherweise noch mehr Hirn einzubüßen, habe ich die wunderbare Funktion der „Bildschrirmkontrolle“ genutzt, und meine (von mir selbst) erlaubte Facebook-Verweildauer auf 10 Minuten täglich eingestellt. 10 Minuten Trash pro Tag kann man sicher bequem verkraften. Das reicht zumindest, um ab und zu mal einen Text zu posten.
Alles in allem kann ich sagen, mir fehlen keine Informationen und ich kann mich wichtigeren Dingen widmen.
Sollte jeder mal versuchen. Vielleicht wird das Netz dann wieder etwas sauberer. Das kann nicht schaden, find ich.
04.11.2020