Du Depp
Vor einiger Zeit behauptete ich von mir, ich wäre unhöflich. Dies machte ich an der Tatsache fest, dass ich einfach keine Lust mehr auf Belästigungen per Telefonmarketing hatte, und deshalb dazu überging, einfach die Gespräche abzukürzen, indem ich auflegte.
Mittlerweile stelle ich fest, dass ich offensichtlich doch noch in der Lage bin, meine Gefühlsregungen halbwegs im Griff zu haben, und meine gute Kinderstube weiterhin im Hinterkopf zu behalten.
Es ist ja nicht einmal so, dass sich die Kommentare fremder Menschen nur im Internet auf einem Level befinden, bei dem es mich gruselt, aber hier ist solch ein Niveau-Limbo leider am deutlichsten zu sehen. Dies, egal ob es um Corona-Tote, um Impfungen, oder um die Fahrpreiserhöhung der Deutschen Bahn geht. Immer und überall wird die eigene Unwissenheit auf große (imaginäre) Banner gemalt, und mit ihnen geschwenkt.
Ist man grundsätzlich der Erste, der einen Smiley unter einen Beitrag über die täglichen Corona-Opfer setzt, zeigt man damit seine Empathielosigkeit, und fühlt sich wahrscheinlich gut dabei.
Zweifelt man alle Meldungen und Nachrichten an, zeugt dies freilich nicht von einem besonders großen Freigeist, sondern lediglich von einer ernsthaften Störung. Ob dies nun eine ausgewachsene Paranoia, oder eine andere Angststörung ist, sei dahingestellt. Auch ich habe als Kind, wenn ich mein Fahrrad aus dem Keller holte, laut gesungen, um meine Angst klein zu halten. Vielleicht ist das ständige Wiederholen, man solle endlich aufhören, Panik zu verbreiten (obwohl niemand wirklich Panik hat) deren lautes Singen im Keller. Wer weiß?
Oftmals hat man den Eindruck, einer „Diskussion“ im Sandkasten beizuwohnen. Das alles nach dem Schema „Die Regierung gibt bekannt, dass ein neuer Erreger gefunden wurde/ ein alter Erreger nicht mehr so schlimm ist/ es alles unter Kontrolle ist/ die Kontrolle leider entgleitet.“ – Antwort: „Stimmt ja gar nicht“. IMMER und bei ALLEM.
Wie oft ertappe ich mich deshalb dabei, einfach nur als Erwiderung zu solchem Quark zu antworten „Du Depp“. Da sich dies allerdings bekanntlich nicht gehört, verzichte ich darauf, und versuche, mein Gegenüber zu überzeugen. Dabei vergesse ich leider regelmäßig, dass „Tauben-Schach“ selten zum Erfolg, oftmals aber zum Nervenzusammenbruch führt.
Liebe Leute, es zeugt nicht von großer Cleverness, grundsätzlich allem zu widersprechen. Alles zu hinterfragen ist hingegen sinnvoll. Dabei sollte man dann aber auch für die Möglichkeit offen sein, sein Gegenüber hätte möglicherweise die besseren Argumente. Oft ist es leider sogar so, dass nur dort überhaupt Argumente anzutreffen sind.
Wie dem auch sei, sollte ich nochmals irgendwo einen Beitrag im Sinne von „stimmt ja gar nicht“ lesen, werde ich vielleicht wirklich einfach nur „Du Depp“ schreiben.
Gelegentlich ist dies nämlich die einzige Möglichkeit, nicht zu verzweifeln, wenn man einfach mal unhöflich ist, find ich.
22.01.2021