Es ist kalt

Mir ist bewusst, dass Erfrieren ein angenehmerer Tod ist, als zu Ersticken.

Die Frage, die ich mir aber stelle ist, wer darf sich anmaßen, zu entscheiden, jemanden in den sicheren Kältetod zu schicken, um ihn vor dem eventuellen Erstickungstod zu bewahren? Genau – Niemand. 

Genau dies passiert aber gerade in unserem Land. Es werden aus Infektionsschutzgründen die Notunterkünfte und Aufenthaltsmöglichkeiten für Wohnungslose geschlossen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde es wichtig und richtig, Menschen vor Infektionen zu schützen. Das ist ein Thema, welches keiner Diskussion bedarf. Nur muss man gelegentlich abwägen, welche Maßnahmen sinnvoll, und welche quasi tödlich sind.

Heute Morgen zeigte mein Thermometer -18,4°C. In Worten MINUS ACHTZEHNKOMMAVIER! 

Niemand hat bei solchen Temperaturen auch nur eine geringe Überlebenschance, wenn ihm nicht die Möglichkeit geboten wird, sich zu schützen. Unter einer Brücke, oder auf einer Bank im Park ist es definitiv nicht wärmer. Auch eine Decke mehr zum Zudecken hilft hier nicht wirklich weiter.

Ein warmer Tee oder Kaffee, eine Suppe und ein Gespräch mit den Mitarbeitern eines Wärmebusses sind gut und wichtig. Aber Wärme bringt das möglicherweise nur ins Herz.

Anprangern kann jeder – das weiß ich. Habe ich Ideen, wie man der Situation Herr werden kann? Bestimmt nicht allumfassend, aber Kleinigkeiten können bereits helfen.

Ich appelliere an die Geldinstitute, die Vorräume ihrer Geschäftsstellen wieder ohne EC-Karte betretbar zu machen. Ich appelliere an die Notunterkünfte und an die Politik, diese Räumlichkeiten wieder zur Verfügung zu stellen. Ich appelliere an den ÖPNV, nicht gleich die große Katastrophe zu sehen, wenn sich ein Obdachloser auf die Bahnhofsbank legt, weil es dort ein klein wenig geschützter und wärmer ist.

Ich habe vor ein paar Jahren einen Artikel für eine Obdachlosenzeitung geschrieben mit dem Titel „Es wird wärmer – es wird kälter“. Darin geht es um die Situation im Frühling, wenn es draußen wieder angenehm wird, und die Menschen sich nicht mehr um die Obdachlosen kümmern (müssen). Damals bin ich davon ausgegangen, dass man sich wenigstens in der kalten Jahreszeit um diese Menschen kümmert und/oder sich für sie interessiert.

Heute könnte ich dies wahrscheinlich nicht mehr so zu Papier bringen. Denn ich habe den Eindruck, dass selbst im Winter „diese Menschen“ für nicht wenige Leute nur störend sind. In der schönen Stadt Celle wurde die örtliche Obdachlosenhilfe aus der Altstadt vertrieben. Zumindest empfinde ich dies so, weil man sich die schöne „Fassade“ einer netten Stadt nicht „verschandeln“ wollte. Mittlerweile befindet sich die Einrichtung außerhalb des Touristenzentrums. Die Notunterkunft ist sogar noch weiter draußen. In anderen Städten sieht es ähnlich aus.

Gehen wir mit offenen Augen durch die Stadt. 

In diesem Winter sind bereits (Stand 12.02.21) 22 Menschen erfroren. Nicht in Sibirien, nicht in der Taiga, sondern in Deutschland. Mitten in Europa. In einem der reichsten Länder. 

Wir sollten alles dafür tun, dass es nicht zur Normalität wird, dass es „eben zum Winter dazu gehört“, find ich.


13.02.2021